Leserbrief an die Nachdenkseiten
Sehr geehrter Herr Müller,
Ihrer Aufforderung bzw. Anregung an Ihre Leser, sich darüber Gedanken zu machen, auch in einem Selbstklärungsprozess, was eigentlich unter einer Systemveränderung zu verstehen ist, möchte ich gerne nachkommen und meine Gedanken hierzu beitragen.
Vorweg möchte ich grundsätzlich feststellen, dass, wenn in deutschen Landen über Systemveränderung diskutiert wird, doch in der Regel sehr systemimmanente Vorschläge dabei herauskommen, die im Grunde zwar gut gemeint sind, aber mit einer Systemveränderung nichts zu tun haben und eigentlich daher eher den menschenverachtenden Status Quo verfestigen und verstetigen, als ihn zu lockern und zum Tanzen zu bringen oder um es präziser auszudrücken, die Basisbausteine unserer ökonomischen Ordnung bzw Unordnung, wie zum Beispiel das Prinzip Angebot und Nachfrage, Wettbewerb, Bodenrecht, Eigentum an Produktionsmitteln, Geldrecht, Profit, werden auch von kritischen Geistern nicht angetastet, das heißt, die öffentliche Diskussion begnügt sich damit, wenn überhaupt, sich um einen verschiedenen Umgang der nicht hinterfragten Basisbausteine zu streiten.
Wenn aber die Basisbausteine eine Gesellschaft übertrieben und einseitig zum Egoismus (man denke nur an die vielen Geldjunkies in deutschen Landen. Eine Entziehungskur täte ihnen wirklich gut) und damit
einhergehenden Profitgier animieren und auch hineinzwängen, dann kann eigentlich nicht erwartet werden, dass via einer gesamtgesellschaftlichen Einsicht auf indirekte Weise über die Steuergesetzgebung die produzierten Mängel sozialverträglich zumindest abgemildert werden.
Wenn ein Mensch tagein tagaus nur damit beschäftigt ist wie man den eigenen Profit steigert, dann kann man von ihm nicht erwarten, dass er nach Ladenschluss bereit ist, über Steuern nachzudenken, die seine Profite schmälern. Dies widerspräche fundamental seiner Lebensgewohnheit.
Ein intelligenter Kapitalismus, so wie er u.a. von den Nachdenkseiten vertreten wird, kann sich daher nur in ganz speziellen Zeitfenstern durchsetzen, zum Beispiel wenn das ökonomische System zusammenzubrechen droht und man aus der Not heraus sich eher Vernünftigem annähert oder wenn es Strömungen innerhalb einer Gesellschaft gibt, die (siehe Apo) eine radikale Abkehr vom kapitalistischen Systems fordern. Solche radikalen Strömungen bekämpfen zwar reformistische Ideen wie sie von Keynes vertreten werden, indirekt ungewollt tragen sie aber zumindest teilweise zu deren Durchsetzung bei, weil sie den politischen Diskurs auflockern und ein wesentliches notwendiges Gegengewicht zum medialen Übergewicht der Geldfeudalisten darstellen.
Weil - dies muss man sich vor Augen führen: Die von mir stichwortartig aufgeführten allgemein akzeptierten Basisbausteine(leider auch von vielen jenen akzeptiert, die sich selber als links bezeichnen) sind schon von vornherein auf Seiten der Neoliberalen. ohne dass diese auch nur, was die poltische Arbeit angeht, einen Finger krümmen. Wir leben nun einmal nicht in einer Ordnung, über die man sagen könnte, wir befinden uns auf neutralem Gebiet und es käme ausschließlich auf menschliches Handeln an und der Mensch hätte quasi die Wahlmöglichkeit sich für das Gute oder für das Böse zu entscheiden. Es ist nun einmal schwer, ein Fußballspiel zu gewinnen, bei dem der Gegner schon vor Anpfiff 4 oder 5:0 führt. Die von Albrecht Müller aufgeführten Vorschläge sind nicht dazu angetan nachhaltig zu gewinnen, sondern höchstens in Ehren mithilfe einer Ergebnisverbesserung zu verlieren. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass aufgrund von Ideenmangel all jene, denen es um soziale und emanzipatorische Verbesserungen geht, sich aus freien Stücken für die Ohnmacht entschieden haben, solange sie nicht den Mut haben, die von mir skizzierten Basisbausteine in Frage zu stellen und sich bewusst der Gefahr aussetzen im gesamtgesellschaftlichen Diskurs an den Rand gedrängt oder ignoriert zu werden.
Wenn ich nun meine Pflasterbausteine jenen von Albrecht Müller gegenüberstelle, erlaube ich mir diese u.a. mit Literaturangaben zu versehen um Mißverständnissen, die bei stichwortartig Aufgeführtem schwer zu vermeiden sind, zumindest entgegen zu wirken:
1. Einführung des bundesweiten Volksentscheides
(Wer möchte, dass die Bevölkerung aus ihrer politischen Lethargie erwacht, muss ihr konkrete
Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand geben), siehe zB: https://www.youtube.com/watch?v=7wZbTqpzUks
2. Grund und Boden darf nicht mehr verkauft werden. (schließlich ist der Boden nicht wie eine Ware vermehrbar) Die Bodenspekulation wird dadurch unterbunden. Grund und Boden unterliegt fortan einem Nutzungsrecht, wie es zum Beispiel in dem Buch "Scheinmarktwirtschaft" von Udo Hermannstorfer (Verlag freies Geistesleben) beschrieben steht.
3. Die Preisbildung hat in der Großindustrie nicht über Angebot und Nachfrage zu erfolgen. Stattdessen wird der Preis in einem demokratischen Verfahren von öffentlichen Körperschaften wie Produktions- und Konsumtionsgenossenschaften ausgehandelt. Hierbei besteht die Chance dass zB. bei einem Rohstoff wie Öl von vornherein damit einhergehende vorhersehbare Umweltschäden eingepreist werden.
4. Der Aktienmarkt wird abgeschafft. Der Geldzufluss für Unternehmen obliegt ausschließlich den Banken; man könnte auch sagen: einem ausgeklügelten System von demokratisch gewählten Bankenparlamenten. Hierzu siehe: Wilhelm Schmundt, Der soziale Organismus in seiner Freiheitsgestalt, FIU Verlag
5. Die Geldschöpfung wird ausschließlich von der Zentralbank praktiziert und nicht wie gegenwärtig zu einem beträchtlichen Teil von den Geschäftsbanken.
6. Die Erzielung von Profiten von multinationalen Konzernen oder nationalen Großkonzernen wird unterbunden, weil die auf dem Markt erzielten Überschüsse in einem Verbund von selbstverwalteten Unterschuss- und Überschussunternehmen wieder abfließen oder an das Bankensystem zurückgehen und dort entwertet werden. Das Geld wird dem Nichts zugeführt und von der Zentralbank aus dem Nichts geschöpft.
Wer nicht möchte, dass Konzerne mit ihrer Geldmacht die Demokratie zur Farce verkommen lassen, muss schon auch mal ans Eingemachte, sonst wird es noch tausend TTIPS geben und man befindet sich immer in der Defensive nie aber in der Offensive! Hierzu siehe: Wilhelm Schmundt, Der soziale Organismus in seiner Freiheitsgestalt, FIU Verlag
7. Eine neue Form von Schenkungsgeld wird eingerichtet. Da der technische Fortschritt immer weiter geht und immer mehr menschliche Arbeitskraft durch die Automatisierung ersetzt wird, soll den Bürgern als Ausgleich, als Entsprechung zur vernichteten menschlichen Arbeit ein quasi arbeitsloses Einkommen vom Bankensystem zufließen. Dies ist nicht zu verwechseln mit dem gegenwärtig immer wieder diskutierten Bürgergeld, weil es in einem unemanzipierten Zusammenhang eingeführt werden soll und dadurch entgegen seiner ursprünglichen Zielsetzung ad absurdum geführt wird.
8. Das Leitmotiv der Europäischen Union, lässt man gewisse hehre Phrasen beiseite, ist die vehemente Unterstützung des Wettbewerbes. Das Leitmotiv einer künftigen Europäischen Union ist die Solidarität, das heißt, Wettbewerb ist in der Kleinindustrie und den kleineren Betrieben des Mittelstandes zugelassen, nicht aber in den größeren Betrieben des Mittelstandes und der Großindustrie. Die jeweiligen Unternehmen kooperieren direkt miteinander, so wird u.a. Wettbewerb da ermöglicht, wo er notwendig ist, zum Beispiel bei der Erfindung von neuen Produkten, die nicht, wie oft gegenwärtig der Fall, durch Marktmacht verhindert werden.
9. Die Einkommensunterschiede werden von vornherein in einem demokratisch zu bestimmenden Verhältnis festgelegt: Zum Beispiel 10:1, 20:1, 30: 1 etc.
10. Sämtliche Handelsverträge bzw. Freihandelsverträge seitens der Europäischen Union mit den ärmeren Staaten werden auf Sozialverträglichkeit hin überprüft. Grundsätzlich soll armen Staaten beim internationalen Handel das Recht auf Erhebung von Importzöllen eingeräumt werden, damit sie eine Chance erhalten, ihre heimische Wirtschaft zu entwickeln, die unter gegenwärtigen Bedingungen auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig wäre.